Wieder hatte es in der Nacht geregnet. Und wieder begrüßte mich die Sonne und ein wild romantisches Wolkenspiel am Himmel. Die Wolken schienen nur dicht über dem Wasser zu schweben. Von der Steiküste hier oben hatte man einen tollen Blick darauf. Aber heute hieß es Abschied nehmen von der Ostsee und ihrer wunderschönen Küste. Ich wollte heute zum Peipussee und darüber hinaus weiter fahren. Frühstück, packen, noch eine Weile mit den Deutschen und den Finnen plaudern. Dann ging es auch schon gegen viertel zehn los. Auf dem Weg zum See wollte ich mir noch Kloster Käesmu und Vasknarva ansehen. Bei Käesmu war ich aber durch eine üble Baustelle so in Anspruch genommen, dass mir erst einige Kilometer später auffiel, das ich dort hin wollte.
Also Vasknarva. Das Kloster war schon von weitem zu sehen. Nur leider hatten die Ordensdamen heute offenbar Schließtag. Alle Türen dicht. Ich suchte mir zumindest eine Stelle im Dorf, von der aus ich das Kloster einigermaßen gut fotografieren konnte. Das war ausgerechnet an der Bushaltestelle. Dort wartete eine alte Frau auf den Bus und war offenbar davon angetan, dass ich mich für das Kloster interessierte. Sie kam näher und fing an mir einiges auf Russisch zu erklären. Ich versuchte ihr klar zu machen, dass ich kaum Russisch kann. Nur leider benutzte ich, wie in den letzten Tagen, auch die Floskel: „Mnoga russki.“. Leider ist mir erst heute Abend aufgefallen, dass das „Viel Russisch“ heißt. Sch… Wie auch immer, Babuschka war wirklich herzallerliebst und versuchte mir alles mögliche zu erklären. Vor lauter Begeisterung sprach sie immer schneller. Was meine Chancen wenigstens etwas zu verstehen drastisch reduzierte. Irgendwie bekam ich aber zumindest ein gaaaanz kleines bisschen zusammen. Unter anderem, dass sie mir von einer heilkräftigen Quelle erzählte. Aber wo die nun sein sollte…. Nun bin ich weder christlich noch esoterisch veranlagt. Also suchte ich nach einer Möglichkeit rasch aus der Situation zu kommen ohne die Frau zu kränken. Sie hat es wirklich einfach nur ehrlich gut gemeint. Und ich fand es einfach zu schade, dass ich nicht mehr verstand. So ziemlich das erste mal, seit meiner Schulzeit, dass ich wirklich bedaure das meiste meines russichen Wortschatzes vergessen und verdrängt zu haben.
Ich fuhr dann doch weiter und suchte nach einem Platz um endlich einen Blick auf den riesigen See werfen zu können, an dessen Ufer ich nun schon eine Weile entlang fuhr. Zwischen Straße und See war dichter Kiefern- und Birkenwald (wie üblich…). Irgendwann fuhr ich einfach in einen Seitenweg und kam an die Uferdüne. Ja dieser See hat richtige Dünen. Er ist ja auch größer als manches Binnenmeer. Ich erblickte einen traumhaften Sandstrand mit, ja nicht mit, sondern komplett ohne Menschen. Und das Kilometerweit. Die Straße führte zunächst immer dicht am See entlang und irgendwann stieß ich wieder auf die Zeichen für freie Camping- und Rastplätze. Das sah ich mir gleich mal an. Hier hatten die Esten gleich ganze Arbeit geleistet. Über mehrere Hundert Meter standen alle 50m Bänke und Lagerfeuerkamine. Das lässt ahnen, was hier im Hochsommer los ist. Der See war einfach zu verlockend. Aber um hier zu bleiben war es viel zu früh. Und nach dem Peipussee war erst mal nicht mehr viel zu erwarten.
Außerdem wollte ich meine Trödelei der letzten Tage etwas gut machen und heute Kilometer fressen. Zunächst erwies sich dieses Vorhaben als recht eintönig. In Estland folgte ich bestens ausgebauten Schnellstraßen und auch die Landstraßen waren sehr gut asphaltiert. So kam ich flott voran und setzte mir das Tagesziel Daugavpils in Leettland.
Zwischendurch gab es immer wieder mal kurze Regenschauer. Aber irgendwie schien ich dem Regen hinterher zu fahren. Wo ich hin kam waren die Straßen meist nass, aber es regnete nicht mehr. Ein kurzer Einkaufsstop in einem kleinen Tante Emma Laden war nicht ganz so leicht. Brot gab es zwar. Aber fast nur weiches Sandwitchbrot. Wurst… Versuch mal einer diese Sprache zu entziffern. Das einzige was ich wirklich sofort erkannte waren Mohnstrietzel. Die heißen hier nämlich auch so „Strietsel“. Kurz hinter Tartu gab es dann einen kleinen Höhepunkt für mich und die „Dicke Transe“. Der Kilometerzähler zeigte 66 666,6 km. Na das ist doch mal ne Schnapszahl. Und davon bin ich in den letzten vier Monaten über 12 000 km gefahren. Und heute habe ich auch auf diesem Trip die 3500 km Marke überschritten.
Als ich so richtig auf dem besten Wege zum ermüden war, durch die recht abwechslungsarme Fahrerei, kam die Lettische Grenze. Sofort wurde die Straße zum Flickenteppich und Trichterparcour. Als nächstes bog ich auf eine P… Straße (P+ Ordnungsnummer sind in Lettland die eigentlichen Landstraßen und entsprechen den L Straßen in Deutschland, also eigentlich keine Trampelpfade) ab und landete wieder auf einer unbefestigten Piste. Diesmal aber feucht und schlammig. Erst mal fand ich das zwar nicht ganz ungefährlich aber toll. Nur leider fuhr ich dann von den ca. 300 km bis Daugavpils noch mindestens 160-180km auf solchen Pisten. Von trocken und festgefahren bis loser Schotter, schlammig feucht über staubig und sandig und dann wieder einige Kilometer Asphalt, war alles drin. Geschwindigkeit zwischen 20 und 100 km/h. Diese allerdings teilweise im brachial schnellem Wechsel. Immer wieder kam ich in den Kurven ins schlingern. Teils selbst wenn ich langsam fuhr. Das Motorrad und ich bekamen Unmengen an Dreck ab. Das Ganze war zwar durchaus interessant und lehrreich, aber irgendwann hatte ich nicht schlecht Lust diese Schule zu schwänzen. Egal. Irgendwie muss ich da durch. Die Landschaft, soweit ich dafür überhaupt Augen haben konnte, gab auch nicht so viel her. Mir fielen die Worte des Studenten aus Riga ein, der ja von hier stammte. „Die Region ist stark unterentwickelt und noch weit in der Vergangenheit“. Da der Großteil der Straßen hier so aussieht… Und auch die Dörfer sahen im Vergleich zu Westlettland deutlich ärmlicher aus.
Bis kurz vor Daugavpils zog sich das so hin und ich verlor reichlich Zeit. Irgendwann landete ich aber auf der A13 nach Daugavpils . Da sah ich mich dann nach einer Bleibe um. Da Daugavpils selbst nicht so sehenswert ist, war mir der einzige Campingplatz, den es hier weit und bereit gab,außerhalb von Daugavpils sehr Recht. Der lag an einem kleinen See. Das Café und Hauptgebäude waren geschlossen, ebenso wie der eigentliche Campingplatz, aber dahinter lag noch ein Gelände mit Bungalows, das dazu gehörte und wo die Tür der Rezeption offen stand. Ich ging hinein und aus dem Wohncontainer kam mir schon der Gestank von reichlich Alkohol entgegen. Drin saß ein Alter an einem schäbigen Schreibtisch, inmitten des offenbar schon reichlich verschütteten Bieres, und telefonierte. Er sah mich in meinen Motorradklamotten an wie eine Fata Morgana. Der war einfach mal hammerhart und stockbesoffen. Es war gar nicht leicht ihm klar zumachen, dass ich eine Übernachtungsmöglichkeit suche. Als er das begriff, signalisierte er mir, dass hier geschlossen sei. Ich ging. Versuchte es zumindest. Er folgte mir und fing an wüstes Zeug zu reden. Sogar mit meinem spärlichen Russisch begriff ich, dass er komplett fantasierte. Irgendwas mit Irak Krieg, Leningrad, ach was weiß ich noch. Und Präsident und so weiter. Allerdings kam auch immer wider mal das Wort „Biker“ und Bewegungen die an das lenken eines Motorrades erinnerten. Ich machte mich startklar. Als ich aufstieg, bedeutete er mir das ich doch hereinkommen sollte. Ich hoffe er und ihr verzeiht mir, dass ich seine Gastfreundschaft aus schlug und davon fuhr. Das war mir dann doch zu heikel.
Nun hatte ich ein neues Problem. Eigentlich noch mehr als eins. Nächster Campingplatz mindestens 30 km entfernt, es war schon nach sechs, es regnete, ich hatte Hunger da schon seit früh nichts gegessen, und keine Bleibe. Also ab ins Zentrum. Mein Reiseführer hatte für Daugavpils nicht viel zur Übernachtung im Angebot. Ein Nobelhotel (kein Budget, keine Chance), ein eher bezahlbares Hotel. Das war aber dicht verrammelt. Ich suchte im Navi und fand in der Nähe ein Hotel. Das hatte offen und ein recht akzeptables Zimmer zum halbwegs erschwinglichen Preis. 25 Lats = 36 €. Immerhin mit Frühstück. Und das beste. Das Motorrad steht in der Privatgarage des Besitzers. Leider kein WLAN:(. Dank der Empfehlung des Hoteliers, bekam ich dann auch noch im Café Vesna ein gutes Abendessen.
Aber dennoch lies sich der russische Einfluss auch hier nicht leugnen. Im Badezimmer regierte Altrosa Kreml Rokkoko und auch das Shampoo lies keine Frage mehr offen, wo ich hier gelandet war…
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